Ein „unverzichtbares Element“

Parteien äußern sich zum Sportunterricht – Diskussion über alternative Benotung und 3. Sportstunde – SZ-Serie „Schule und Sport“, Teil 4

Alle Themen kann man kontrovers diskutieren. Auch das Thema Schulsport. Am besten können das in unserem politischen System die Parteien. Ihre Amtsträger, Funktionäre, Delegierte und Mitglieder an der Basis diskutieren intern ein Programm, das ihre Partei von den anderen inhaltlich abgrenzen und den Wähler „mitnehmen“ soll. In der Regel gelingt das mal mehr, mal weniger. Im Endeffekt sind es aber die Parteien – genauer, die von ihnen gestellten Minister(präsidenten) auf Bundes- und Länderebene, die Entscheidungen treffen. Auch im Schulsport.

Im Rahmen unserer Serie „Schule und Sport“ haben wir die im saarländischen Landtag vertretenen Parteien CDU, SPD, Die Linke, Piratenpartei und Bündnis90/Die Grünen sowie die bis zur letzten Landtagswahl im März 2012 in Regierungsverantwortung stehende FDP nach ihren Positionen zum Thema Schulsport befragt. Unter anderem ging es dabei um die Wichtigkeit des Sportunterrichts allgemein, Probleme im Schulsport, die Standpunkte zur Wiedereinführung der 3. Sportstunde oder was die Parteien von einem alternativen Benotungs-System für das Fach Sport halten. Hierzu hat Dr. Gunter Hauptmann, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland, im zweiten Teil unserer Serie angedeutet, dass die Benotung anhand von Leistungs-Tabellen aufgrund der unterschiedlichen, nicht beeinflussbaren körperlichen Voraussetzungen ungerecht sei, und angeregt, gar keine Noten oder nur welche für das Bemühen statt für die reine Leistung zu vergeben.

In einem sind sich alle einig: Schulsport ist sehr wichtig. Angesichts der Tendenz der bisherigen Erkenntnisse unserer SZ-Serie ist es nicht verwunderlich, dass das Schulfach Sport als „nicht ersetzbar“ (FDP) oder „unverzichtbares Element einer umfassenden Bildung und Erziehung“ (CDU) bezeichnet wird und der gesundheitliche wie gesellschaftliche Nutzen von allen hervorgehoben wird. Auf die Frage an die Regierungsparteien, ob das Fehlen der Begriffe „Schulsport“ und „Sportunterricht“ im Koalitionsvertrag die Deutung zulässt, dass die Regierung keinen Handlungsbedarf sehe, antworteten CDU und SPD mit dem Verweis auf viele Initiativen, die die Kooperation von Schule und Sport förderten (wir berichteten im 2. Serienteil).

Laut SPD-Bildungsminister Ulrich Commerçon, könne die Situation des Schulsports „unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Ressourcen als zufriedenstellend bezeichnet werden.“ FDP, Bündnis90/Die Grünen und Die Linke thematisieren wegfallende Sport- und Schwimmhallen, die Piratenpartei bemängelt, dass die Sportnote eine zu starke Auswirkung auf die Zeugnisse habe. Die Wiedereinführung der 3. Sportstunde halten CDU, SPD, Bündnis90/Die Grünen, Die Linke und FDP für wünschenswert. Allerdings sehen die meisten sie zurzeit als nicht finanzierbar an. Interessant finden alle die Anregung eines alternativen Benotungssystems, wie es Hauptmann anregte.

Veröffentlicht seit Anfang Juli 2012 in unterschiedlichen Lokalausgaben der Saarbrücker Zeitung.

Veröffentlicht in SZ-Serie: Schule und Sport | Kommentare deaktiviert für Ein „unverzichtbares Element“

Studien belegen die Bedeutung des Schulsports

Warum die körperliche Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen zurückgegangen ist. SZ-Serie, Teil 3

Unsere Kinder leben ungesünder, weil sie immer mehr vorm Computer sitzen und immer weniger Sport treiben. Diese These vertreten im Saarland sicher viele Menschen. Sie scheint auch Sinn zu machen: Früher gab es kein Internet, das soziale Leben hat sich an der frischen Luft und nicht vom Sofa aus über die Datenautobahn abgespielt. Doch: Stimmt das wirklich? Welche Rolle spielt dabei der Schulsport?

Gerade zu gesundheitlichen Fragestellungen gibt es zahlreiche wissenschaftliche Studien. Eine solche, die das Zentrum für angewandte Gesundheitswissenschaften (ZAG) der Leuphana Universität Lüneburg und das Institut für Psychologie im Auftrag der Krankenkasse DAK vor etwa drei Jahren durchgeführt haben, belegt zumindest, dass sich vor allem Stresssymptome bei Schülerinnen und Schülern anhäufen.

Für die Studie wurden 4500 Jungen und Mädchen im Alter von zehn bis 21 Jahren aus vier Bundesländern befragt. Ein Drittel der deutschen Schüler klagte demnach über regelmäßige körperliche (vor allem Bauch-, Kopf- und Rückenschmerzen) und seelische Beschwerden. Einige Jahre früher versuchten der Deutsche Sportbund (DSB, heute: Deutscher Olympischer Sportbund), die Krankenkasse AOK und das wissenschaftliche Institut der Ärzte Deutschlands (WIAD) mit ihrer Studie „Bewegungsstatus von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ einen Zusammenhang gesundheitlicher Probleme mit dem Bewegungsstatus herzustellen. Dafür wurden die motorischen Fähigkeiten von über 20 000 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen sechs und 18 Jahren getestet.

Eines der zahlreichen Ergebnisse dieser Untersuchung: Die körperliche Leistungsfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Allein bei den Zehn- bis 14-Jährigen um mehr als 20 Prozent. Vor allem zeige sich dies im koordinativen Bereich und – bei Mädchen stärker als bei Jungen – im Ausdauerbereich. Wörtlich heißt es in der Studie: „Eine schlechte körperliche Fitness bereits im Kindesalter hat nicht nur häufig lebenslange negative Auswirkungen auf die Gesundheit. Sie beeinträchtigt auch die Lebensqualität sowie das Sozialverhalten und das Lernvermögen von Kindern und Jugendlichen.“

Dass die befragten und getesteten Schülerinnen und Schüler in unterschiedlichen Bundesländern zur Schule gingen, erlaubte den Wissenschaftlern eine signifikante Feststellung: Wenn höchstens zwei Stunden Sportunterricht pro Woche erteilt werden, wirkt sich dies mit zunehmendem Jugendalter immer negativer auf die sportmotorische Leistungsfähigkeit aus. Ab drei und mehr Sportstunden pro Woche würde diese Tendenz nicht eintreten. Aufgrund des föderalen Bildungssystems in Deutschland variiert die Anzahl der Sportstunden von Bundesland zu Bundesland. Im Saarland werden derzeit zwei Stunden Sportunterricht pro Woche erteilt.

Langfristige Auswirkungen
Dass sich die Kinder und Jugendlichen offensichtlich weniger bewegen und dass dies langfristig gesehen Auswirkungen auf die Gesundheit sowie das Sozial- und Lernverhalten haben kann, weiß man also. Auch, dass sich bei nicht wenigen Schülerinnen und Schülern in der heutigen Zeit verschiedene Stresssymptome finden lassen, ist wissenschaftlich belegt. Dass der Schulsport ein Mittel sein kann, um dieser Entwicklungen entgegenzutreten, bestätigt die Forschung. Dass der Sportunterricht nicht allein die angesprochenen negativen Entwicklungen ausgleichen kann, sagt uns der Verstand.

Welche alternativen Möglichkeiten es rund um den Schulsport gibt, was saarländische Lehrer und Schüler vom Sportunterricht an den hiesigen Schulen halten und ob die saarländischen Politiker die Wiedereinführung der dritten Sportstunde planen, erfahren sie in den nächsten Teilen unserer Serie zum Thema Schulsport. < wird fortgesetzt

Veröffentlicht seit Ende Juni 2012 in unterschiedlichen Lokalausgaben der Saarbrücker Zeitung.

Veröffentlicht in Alle, SZ-Serie: Schule und Sport | Kommentare deaktiviert für Studien belegen die Bedeutung des Schulsports

„Der Bedarf nach mehr Sport ist da“

Bewegungsförderung schon im Kindergarten sinnvoll – LSVS-Projekt seit 2003 Zusätzliche Bewegung durch Sportklassen, Schülermentoren und AGs – SZ-Serie „Schule und Sport“, Teil 2

Um Schülern mehr Sportunterricht zu gewährleisten, haben Bildungsministerium und LSVS Sportklassen und Leistungs-AGs eingerichtet. Angebote wie Schülermentoren bleiben jedoch weitgehend unbeachtet.Durch „Kids in Bewegung“ können Kinder bereits vor ihrem Eintritt in die Schule sportlich gefördert werden. Ein Baustein des Sport-Projektes ist das Mini-Sportabzeichen.

Regionalverband. Dass man mit dem Begriff „Schulsport“ in erster Linie den Sportunterricht in der Schule verknüpft, ist logisch. Im Rahmen unserer Serie „Schule und Sport“ richten wir den Blick allerdings auch auf das, was außerhalb der mehr oder weniger beliebten Schulstunde mit Sportlehrer stattfindet. Heute geht es um Initiativen und Projekte, die den klassischen Schulsport im weitesten Sinne ergänzen sollen.

Hier gibt es beispielsweise Sportklassen oder Arbeitsgemeinschaften (AGs). Nach den Sommerferien 2012 wird es in etwa zehn Partnerschulen des Landessportverbandes für das Saarland (LSVS) Sportklassen geben. Weitere sieben Schulen bieten spezielle Leistungs-AGs an. „In der Regel hat die Sportklasse sechs Stunden Sport pro Woche. Mitmachen können die Schüler der 5. und 6. Klasse, teilweise auch der 7. Klasse“, erklärt LSVS-Leistungssportreferentin Karin Becker von der Talentförderung Saar, die wie das Ministerium für Bildung und die Schulen selbst an der Finanzierung der Sportklassen beteiligt ist. Gewöhnliche Schulklassen im Saarland haben nur zwei Stunden Sportunterricht pro Woche. Während die Sportklassen ihren zusätzlichen Unterricht auch vormittags in den Stundenplan einfließen lassen, finden die „Leistungs-AGs“ immer nach dem Unterricht in der 7. und 8. Stunde statt. „Der Bedarf nach mehr Sport ist bei Schülern mit Sicherheit da, aber wir können das nicht endlos ausweiten“, stellt Karin Becker, die beim LSVS auch für die Sportförderprogramme an Schulen zuständig ist, klar.

Aber: Viele Schulen rufen die Angebote des LSVS und des Ministeriums einfach nicht ab. Zum Beispiel die Förderung sogenannter „Schülermentoren“, die das Ministerium für Bildung zusammen mit dem LSVS und verschiedenen Sport-Fachverbänden vorantreiben will. „Das sollen Schüler sein, die selbst in einem Verein Sport treiben und Interesse daran haben, anderen ihr Wissen zu vermitteln“, sagt Becker. Dabei könnten sich die Mentoren von ihrem Verein oder dem Träger der Schule etwas Taschengeld dazu verdienen. Das Problem: Die Schulen müssen die Schüler anwerben, ehe sie vom LSVS ausgebildet und an Schulen eingesetzt werden können. Am besten klappt dies bei Freiwilligen Ganztagsschulen mit sogenannten „langen Gruppen“, also Nachmittagsbetreuung bis 17 Uhr.

Ganz allgemein mit dem Thema „Sport im Ganztag“ beschäftigt sich die gleichnamige Arbeitsgruppe, die aus Vertretern des Bildungs- und Sportministeriums, des LSVS und der Serviceagentur „Ganztägig Lernen“ besteht. Sie hat einen Qualifizierungskurs ins Leben gerufen, der sich an Erzieher sowie pädagogisches Fachpersonal richtet. „Zusatzqualifikation Bewegung im Ganztag“ heißt der aus acht Modulen bestehende Kurs, nach dessen Abschluss auch Trainerlizenzen erworben werden können. „Das Problem ist: Schülermentoren dürfen mit den Kindern nicht allein in die Sporthalle gehen, wenn sie keine Trainerlizenz haben. Also brauchen sie jemanden, der Aufsicht führt“, erklärt Karin Becker: „Wenn sich Erzieher für Sport begeistern können und sich anhand der Weiterbildung dafür qualifizieren, können sie die Mentoren begleiten.“ In den unterschiedlichen Modulen würde das dafür notwendige Grundwissen wie zum Beispiel zum Thema Recht und Aufsichtspflicht vermittelt.

Früh übt sich . . .

Regionalverband. Nicht nur mit Hilfe der oben genannten Initiativen kann man den Schulsport ergänzen. Schon vor dem ersten Schultag macht eine Förderung der Beweglichkeit Sinn. „‚Kids in Bewegung‘ ist entwickelt worden, um Bewegungsförderung im Elementarbereich zu verstärken und zu ergänzen“, erklärt Karin Schneider, Programmleiterin „Gesundheitsförderung im Elementarbereich“ des LSVS. Der Begriff „Elementarbereich“ meint Kinder bis sechs Jahre. ‚Kids in Bewegung‘ entstand 2003 als Pilotprojekt des LSVS zur Förderung der Kooperation zwischen Kindergärten und Sportvereinen und ist nun beständiges, saarlandweites Programm.

„Wir wissen, dass die Bewegung im Elementarbereich Motor der Entwicklung ist. Die Sprachentwicklung läuft zum Beispiel über Bewegung, die Hirnentwicklung bekommt ihren Input über die Bewegung und so weiter“, sagt Schneider: „In den ersten Lebensjahren setzt sich das Kind über Bewegung mit seiner Umwelt auseinander und hat auch einen natürlichen Bewegungsdrang. Aber wenn es den Raum und die Zeit dafür nicht bekommt, schlägt sich das in verschiedenen Defiziten nieder.“ Diese ließen sich später nur schwer korrigieren. „Es geht nicht um die Leistung, wie schnell ein Kind laufen oder wie hoch es springen kann. Sondern darum, dass es dies überhaupt koordinieren kann“, meint Schneider: „Wir bekommen ungefragt Rückmeldungen von den Grundschulen, die deutliche Unterschiede merken, welche Kinder von ‚Kids in Bewegung‘ gefördert wurden. Die sind einfach fitter. Das haben auch schon die Ärzte festgestellt, die Eingangsuntersuchungen machen.“

Ein Instrument von ‚Kids in Bewegung‘ ist das Mini-Sportabzeichen, das man früher als das Deutsche Sportabzeichen (ab acht Jahre) erhalten kann: Die Übungsleiter gehen in die Kindergärten und absolvieren spielerisch Beweglichkeits- und Geschicklichkeits-Übungen. Für jeden Teilnehmer gibt es eine Medaille – die vielleicht für den Einstieg in eine Sportkarriere motiviert.

„Jugend trainiert für Olympia“ als Talentschmiede auf Schul-Ebene

Regionalverband. „Jugend trainiert für Olympia“ ist mit etwa 800 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der weltgrößte Schulsportwettbewerb. 1969 wurde „JtfO“ als Initiative der Zeitschrift „Stern“ von Henri Nannen und Willi Daume sowie der Konferenz der Kultusminister ins Leben gerufen und bietet Schülern die Möglichkeiten, im schulischen Rahmen Wettkampf-Erfahrung zu sammeln.

Auch das Saarland kann sich als kleinstes Bundesland mit Erfolgen auf Bundesebene sehen lassen. Nach Angaben des Bildungsministeriums stellt das Saarland regelmäßig Bundessieger. Vor allem das Saarbrücker Gymnasium am Rotenbühl, eine Eliteschule des Sports, schneidet ständig erfolgreich ab. Nach Angaben des Ministeriums nehmen jährlich etwa 90 Prozent der Gymnasien, 80 Prozent der Gesamt- und Erweiterten Realschulen und 30 Prozent der Beruflichen Schulen des Saarlandes am Wettbewerb teil, der von Organisatoren als „Talentschmiede“ bezeichnet wird. Zahlreiche Spitzensportler gingen hieraus hervor, wie Ex-Schwimmerin Franziska van Almsick oder Ex-Tennisprofi Boris Becker.

Im Saarland machen trotz der G8-Reform und rückläufiger Schülerzahlen jährlich rund 6000 Schüler bei „JtfO“ mit. Im Frühjahr 2012 kamen fünf Schulen aus dem Saarland unter die besten zehn Mannschaften. Das Gymnasium am Rotenbühl wurde Neunter im Gerätturnen (Mädchen), Fünfter im Badminton (gemischte Mannschaft) und siegte im Tischtennis (Mädchen). Die Erweiterte Realschule Güdingen belegte in der gemischten Badminton-Wertung Platz sieben, die Handballer des Saarlouiser Max-Planck-Gymnasiums wurde Neunter. Das Cusanus-Gymnasium in St. Wendel belegte im Tischtennis Platz sieben (Mädchen) und im Volleyball wurde das Geschwister-Scholl-Gymnasium Lebach Vierter.

Veröffentlicht seit Anfang Juli 2012 in unterschiedlichen Lokalausgaben der Saarbrücker Zeitung.

Veröffentlicht in SZ-Serie: Schule und Sport | Kommentare deaktiviert für „Der Bedarf nach mehr Sport ist da“

Schulsport im Fokus

Neue SZ-Serie befasst sich mit vielen Aspekten um die Themen Schule und Sport – Teil 1

Mit Schulsport waren oder sind wir alle in Kontakt. Die Erwartungshaltung an ihn ist  teilweise immens hoch. Die neue SZ-Serie „Schule und Sport“ beschäftigt sich damit, ob der  Schulsport dessen gerecht wird.

Saarbrücken. Schulsport ist ein streitbares Thema. Ganz oberflächlich betrachtet könnte man meinen: Sport ist gesund, also ist Schulsport gut. Und weil Schulsport gut ist, ist es schlecht, dass er in saarländischen Schulen nur in zwei Schulstunden pro Woche stattfindet. Es gibt allerdings auch Menschen, die Schulsport nicht gut finden. Sie berufen sich auf die simple Formel „Sport ist Mord“ oder argumentieren damit, dass man in der Zeit Nützlicheres unterrichten könnte. Deutsch oder Mathematik.

Verschiedene Blickwinkel

Wir in der Sportredaktion mögen Sport – vor allem, wenn wir anderen dabei zuschauen können. Und deshalb werden wir uns künftig objektiv und alles andere als oberflächlich mit dem Thema Schulsport befassen. In den nächsten Wochen und Monaten finden Sie an dieser Stelle die Teile der neuen SZ-Serie „Schule und Sport“, die das Thema in seiner Vielschichtigkeit vorstellen wird.

Wie vielschichtig das Thema Schulsport betrachtet werden kann, zeigt allein die Auflistung einiger Akteure, die ein Interesse an diesem Thema haben könnten, und einige Fragen, die sich in diesem Zusammenhang auftun: Da wären zu allererst die Sportlehrer. Stünden nicht einige von ihnen ohne Schulsport vor einem echten, nahezu existenziellen Problem? Auch die Schüler selbst haben eine Meinung, die es zu respektieren gilt: Macht Sport Spaß? Nervt es, sich frisch geduscht – oder auch mal ungeduscht – wieder in den Unterricht zu hocken? Oder überwiegt die Abwechslung, die eine Dosis körperliche Ertüchtigung zwischen den kopflastigen Fächern bietet? Was macht man mit Bewegungsmuffeln? Zum Purzelbaum zwingen? Und wie wird man vom „normalen“ Schüler zum Leistungssportler?

Auch die Meinung derer, die entscheiden, ist wichtig: Wie sehen es die Politiker? Lohnt sich der finanzielle Aufwand für entsprechende Infrastruktur, um adäquaten Sportunterricht anzubieten? Und wenn dem so ist – warum gibt es dann keine dritte oder gar vierte Schulsportstunde? Die dritte Sportstunde wurde im Saarland vor einigen Jahren abgeschafft. Was sagt die Wissenschaft dazu?

Auch die allgemeine gesellschaftliche Dimension darf nicht unterschätzt werden. Man denke nur an die Themen Integration und Gesundheit. Sport wird im Allgemeinen oft als gemeinschaftsfördernd und eher als sozialer denn körperlicher Aspekt gesehen. Darf Religion Schulsport behindern? Oder umgekehrt? Wollen unsportliche Kinder überhaupt den Joystick gegen einen echten Tennisschläger tauschen? Oder reicht es ihnen, Roger Federer im Wimbledon-Finale vom Wohnzimmer-Sofa aus zu schlagen – via Spielkonsole?

Prävention und Integration?

In Zeiten, in denen Krankenkassen ihre Art von „Herdprämie“ an gesundheitsbewusste Nicht-Arztbesucher auszahlen, könnte auch das Thema Schulsport breiter diskutiert werden. Wollten die Krankenkassen, um das Verletzungsrisiko zu umschiffen, statt Wettkämpfen und Spielen im Sportunterricht lieber kollektive und vorbeugende Krankengymnastik sehen? Widersprächen dann nicht die Orthopäden und Chirurgen, die schon die Kleinsten lieber beim Freiklettern oder Kickboxen sehen würden?

Das ist natürlich Quatsch. Aber: Wer darf mitreden, wenn es um Schulsport geht? Wer verbindet welche Interessen damit? Kann Schulsport allein überhaupt so etwas wie Prävention und Integration leisten? Wo fangen die Aufgaben der Schule an, wo hören sie auf? Und nicht zuletzt: Zählt beim Schulsport der Spaß der Schüler oder der Nutzen? Diese und mehr Fragen stellen wir uns bei der Recherche und versuchen, im Rahmen der Serie „Schule und Sport“ möglichst viele davon zu beantworten. Denn wir mögen Sport – nicht nur als Zuschauer. > wird fortgesetzt

Auf einen Blick
Im Rahmen unserer bereits angelaufenen Recherche bitten wir Sie, liebe Leser, um eine Beteiligung. Was können Sie uns aus Ihrem Alltag zum Thema Schulsport berichten? Gutes? Schlechtes? Probleme? Lösungen? Die Perspektive ist dabei egal: Eltern, Schüler, Lehrer, Schulleiter – wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung und werden diese in unsere Arbeit einfließen lassen.

Veröffentlicht seit Ende Juni 2012 in unterschiedlichen Lokalausgaben der Saarbrücker Zeitung.

Veröffentlicht in SZ-Serie: Schule und Sport | Kommentare deaktiviert für Schulsport im Fokus

Jakob Lang: Dauerläufer im Glück

In einem Alter, in dem viele Menschen die sportlichen Aktivitäten einstellen, hat Jakob Lang die Ultra-Distanz für sich entdeckt. Bei der WM in Gibraltar wurde er Zweiter über 100 Kilometer. Doch sein Ehrgeiz ist weiterhin ungebremst.

Etwa 71 Jahre muss es her sein, als sich Herr und Frau Lang darüber den Kopf zerbrachen, welchen Vornamen sie ihrem Sprössling geben sollten. Glaubt man der Internet-Seite „beliebte-vornamen.de“ waren die Namens-Favoriten für männliche Neugeborene im Jahr 1940 eigentlich Peter, Klaus oder Hans. Dass die Langs mit „Jakob“ quasi ins Schwarze treffen würden, dürfte ihnen damals nicht klar gewesen sein.

Jakob Lang ist heute 70 Jahre alt und einer der erfolgreichsten deutschen „Lang“-Streckenläufer seiner Altersklasse. Kürzlich wurde er bei der Weltmeisterschaft in Gibraltar Zweiter über 100 Kilometer (in 10:53:35 Stunden) – schlagen konnte ihn nur sein deutscher Mannschaftskamerad und Dauer-Rivale Norbert Hoffmann vom SC Selters (9:28:51 Stunden). Der Vorname „Jakob“ zieht interessante Parallelen zu Namensvettern aus längst vergangenen Tagen: „Jakobus der Gerechte“ wurde der Bruder von Jesus Christus genannt – Lang war bis 1982 als Staatsanwalt und bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2000 als Richter am Saarbrücker Sozialgericht tätig. Zuletzt war er dessen Vize-Präsident. Auch gab es einen „Jakobus den Älteren“, seines Zeichens Bruder Johannes des Täufers. Einen Vergleich von Langs Leidenschaft für Kneipp-Wasserkuren zu dem ebenfalls mit Wasserspielen experimentierenden biblischen Bruder zu ziehen, wäre wohl vermessen. „Ich war in meiner Jugendzeit schon immer ein guter Sprinter gewesen“, erinnert sich der gebürtige Bayer, den es 1967 wegen seines Jura-Studiums nach Saarbrücken verschlug.

In seiner Jugend war Lang ein sehr erfolgreicher Sprinter

Nach über vierzig Jahren fühlt er sich wie ein echter Saarländer, erinnert sich aber gerne an die Zeit in seiner Heimat: „Bei dem Schulsportfest 1957 bin ich als 17-Jähriger 100 Meter in 11,0 Sekunden gelaufen. Das war in der damaligen Zeit ein sehr gutes Ergebnis. Im gleichen Jahr lief Armin Hary 10,2 Sekunden.“ Der im saarländischen Quierschied geborene Hary machte sich drei Jahre später mit der Weltrekord-Zeit von 10,0 Sekunden unsterblich – Jakob Lang blieb hingegen keine Zeit zum Trainieren: „Das Talent wäre ausbaufähig gewesen, wenn ich in einem Sportverein gewesen wäre. Aber ich bin schon früh ins Berufsleben eingestiegen und habe mit dem Laufen erst wieder mit 50 Jahren angefangen. Mit 54 ging ich dann erstmals auf die Ultra-Strecke (alle Läufe über der Marathon-Länge von 42,195 Kilometern, Anm. d. Red.) und das hat mir so viel Spaß gebracht, dass ich es einfach weitergemacht habe.“ Aber was treibt einen dazu, im fortgeschrittenen Alter noch so lange Strecken zu laufen? „Mich reizt das Durchhaltevermögen, das man an den Tag legen muss, um über den toten Punkt hinaus zu laufen. Den toten Punkt erreicht jeder Läufer irgendwann, bei einem Marathon kommt er oft zwischen den Kilometern 32 und 35.

Beim Ultralauf kommt das gleich mehrfach vor. Und den zu überwinden, ist immer wieder eine tolle Sache. Genau das macht mir am meisten Spaß“, sagt Lang, der statt monatlich Hunderte von Kilometern zu laufen auch einfach seinen Ruhestand genießen könnte. Seiner – zugegeben exklusiven – Meinung nach geht beides nur im Einklang: „An die Grenze des Möglichen zu gehen und sich selbst zu beweisen, dass man den inneren Schweinehund besiegen kann, ist ein schönes Gefühl.“

Neben dem Laufen zählt auch Kochen zu den Leidenschaften des Pensionärs.

Um sich überhaupt erst in diese Glücksmomente versetzen zu können, trainiert Lang intensiv und zielgerichtet. „Man kann sagen, ich laufe zehn Mal in der Woche, etwa zwei Mal am Tag.“ Die Streckenlänge variiere dabei, erklärt er, bevor er mit den beeindruckenden Zahlen herausrückt: „Normalerweise haben die weitesten Strecken eine Länge zwischen 25 und 30 Kilometern und ich komme dann auf etwa 100 Kilometer pro Woche. Vor Wettkämpfen erhöhe ich den Umfang und laufe dann auch 60-Kilometer-Strecken und komme dadurch auf 150 bis 180 Kilometer pro Woche.“ Die Frage, ob das alles noch gesund ist, beantwortet Lang in seiner Funktion als ausgebildeter Kneipp-Gesundheitstrainer: „Ich habe null Beschwerden. Früher hatte ich schon des Öfteren Probleme mit Knie- und Hüftbeschwerden – einmal habe ich mir beim Training sogar das Sprunggelenk gebrochen.

Aber seit ich vor etwa zwei Jahren wieder angefangen habe, bei Wettkämpfen zu starten, und das Trainigspensum wieder erhöhte, hatte ich keine Beschwerden mehr. Ich führe das in der Tat auf die Kneipp-Behandlungen zurück.“ Im Saarland könnte man Kneip(p)-Behandlungen im Ruhestand auch als weniger gesundheitsförderliche Maßnahme begreifen, aber Jakob Lang meint tatsächlich die Methoden des berühmten Namensgebers für Wasser-Kuren, Sebastian Kneipp. „In den letzten drei Jahren habe ich an der Kneipp-Akademie Ausbildungen zum Pflanzen-Heilkundler und zum Kneipp-Gesundheitstrainer absolviert und führe diese Behandlungen auch an mir selbst durch. Ich habe seitdem keine Beschwerden mehr und fühle mich nach dem Training nicht so müde.“ Angesichts der gegenwärtigen Temperaturen läuft es selbst einem abgehärteten Sportler eiskalt den Rücken hinunter, wenn Jakob Lang erklärt, welche Anwendung er nach dem Duschen praktiziert: „Ich stelle mich in die Badewanne und gieße kaltes Wasser von der Hüfte abwärts über meine Knie und Schenkel. Danach trockne ich mich nicht ab, sondern pumpe das warme Blut durch Bewegung wieder zurück in die Gefäße der Extremitäten. Durch diese starke Anregung der Durchblutung weicht die Müdigkeit aus dem Körper.“ Klingt plausibel.

Aber die ganze Prozedur klingt auch nach dem lauten Bellen des eben schon erwähnten inneren Schweinehundes, der so etwas wie ein ständiger Begleiter Langs zu sein scheint. „Natürlich kostet auch das erst einmal eine gewisse Überwindung. Vor allem wenn man Kneipp-Anfänger ist und das auch noch im Winter. Die Vorstellung, sich bis zur Hüfte mit 15 Grad kaltem Wasser nass zu machen und sich nicht abtrocknen zu dürfen, ist dann sicher nicht angenehm“, zeigt Lang freundlich lächelnd Verständnis, und behauptet eiskalt: „Aber wenn man es oft genug gemacht hat, weiß man, dass es sich danach gut anfühlt, und dann ist die Überwindung künftig nicht mehr so groß.“

„Bei der WM in Gibraltar war die Siegesfeier etwas ganz Besonderes“

Dass Jakob Lang im Allgemeinen keine großen Überwindungs-Ängste plagen, zeigt auch seine diesjährige Erfolgsbilanz. Stolz darf sich der 70-Jährige „Weltjahres-Bester“ seiner Altersklasse nennen. Und zwar in einer Disziplin, deren Bezeichnung allein schon so manchen abschrecken würde: 24-Stunden-Rennen. Fast unglaubliche 187,003 Kilometer lief Lang in dieser Disziplin im Juni und damit allen deutschen Konkurrenten – auch Norbert Hoffmann – davon und kassierte neben der Weltjahres-Bestzeit auch den Deutschen Meistertitel. Der jüngste Erfolg des Jahres 2010 ist ihm aber der liebste: „Die WM in Gibraltar war schon ein grandioses Erlebnis.

Ich stelle sie noch über den New York-Marathon von 1994, der mich vor allem wegen der 2,5 Millionen Zuschauer beeindruckt hatte. Aber bei der WM in Gibraltar war allein die Siegesfeier etwas ganz Besonderes. Wenn man dann auf das Treppchen geholt wird und die Nationalhymne gespielt wird…“, schwelgt Lang in der noch frischen Erinnerung, „Ich schäme mich auch nicht zu sagen, dass ein paar Tränchen meine Wange heruntergelaufen sind.“ Eindrücke zählen mehr als Rekorde – aber die sind auch ganz schön: „Ich hetze nicht den Zeiten hinterher. Es ist zwar gut und schön, wenn man Weltranglisten-Erster ist oder einen Rekord aufstellt, aber das sieht nächstes Jahr vielleicht schon wieder anders aus. Das ist nicht das Bleibende. Das Bleibende sind die Eindrücke. Aber es braucht trotzdem auch den Ehrgeiz, sonst hat man keine Erfolge.“ Und ohne Erfolge kommt man nicht an Orte oder zu Wettbewerben, bei denen man die wertvollen Eindrücke gewinnen kann. Ein Teufelskreis, den Jakob Lang auf seine ganz eigene Art (durch)- ,,läuft“: „Ich habe mich von einem anderen Ultraläufer dazu überreden lassen, im August 2011 in Lebach beim 12-Stundenlauf auf der Bahn mitzumachen und den Weltrekord in meiner Altersklasse anzugreifen. Ich habe noch nie einen Wettbewerb auf der Bahn gemacht.

Der Deutsche Rekord liegt derzeit bei 97,68 Kilometern, der  Weltrekord bei 109 Kilometern. Das zu überbieten, sollte für mich aber kein Problem sein. Bei der Deutschen Meisterschaft über 24 Stunden war ich nach 12 Stunden schon weiter. Und da musste ich mir ja die Kräfte einteilen, weil ich erst die halbe Strecke absolviert hatte.“ Nach seinen Angriffen auf die Weltrekorde der Disziplinen in sechs, 12 und 24 Stunden im Jahr 2011 will sich der Wahl-Saarländer im übernächsten Jahr einige – wie er sie nennt – „Spaßläufe“ gönnen. Dazu gehören: Ein Lauf durch die Wüste in Südafrika, ein Lauf auf den Kilimandscharo oder der Lauf von Athen nach Sparta – ganz nebenbei einer der schwersten seiner Art.

Jakob Lang hat seinen ganz eigenen Weg gefunden, durch‘s Leben zu laufen. Vielleicht macht er sich auf der Suche nach einer neuen Herausforderung auch irgendwann einmal auf den Weg, der nach einem seiner berühmten Namensvetter benannt ist. Wie viele Schweinehunde der in Riegelsberg wohnende Bayer dann auf der „Ultra-Strecke“ ins spanische Santiago de Compostela antreffen wird, wird sich dann zeigen…

Veröffentlicht am 14. Januar 2011 in FORUM – Das Wochenmagazin.

Veröffentlicht in Alle, Portraits | Getaggt , , , , , , , , , , , , , | Kommentare deaktiviert für Jakob Lang: Dauerläufer im Glück