In einem Alter, in dem viele Menschen die sportlichen Aktivitäten einstellen, hat Jakob Lang die Ultra-Distanz für sich entdeckt. Bei der WM in Gibraltar wurde er Zweiter über 100 Kilometer. Doch sein Ehrgeiz ist weiterhin ungebremst.
Etwa 71 Jahre muss es her sein, als sich Herr und Frau Lang darüber den Kopf zerbrachen, welchen Vornamen sie ihrem Sprössling geben sollten. Glaubt man der Internet-Seite „beliebte-vornamen.de“ waren die Namens-Favoriten für männliche Neugeborene im Jahr 1940 eigentlich Peter, Klaus oder Hans. Dass die Langs mit „Jakob“ quasi ins Schwarze treffen würden, dürfte ihnen damals nicht klar gewesen sein.
Jakob Lang ist heute 70 Jahre alt und einer der erfolgreichsten deutschen „Lang“-Streckenläufer seiner Altersklasse. Kürzlich wurde er bei der Weltmeisterschaft in Gibraltar Zweiter über 100 Kilometer (in 10:53:35 Stunden) – schlagen konnte ihn nur sein deutscher Mannschaftskamerad und Dauer-Rivale Norbert Hoffmann vom SC Selters (9:28:51 Stunden). Der Vorname „Jakob“ zieht interessante Parallelen zu Namensvettern aus längst vergangenen Tagen: „Jakobus der Gerechte“ wurde der Bruder von Jesus Christus genannt – Lang war bis 1982 als Staatsanwalt und bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2000 als Richter am Saarbrücker Sozialgericht tätig. Zuletzt war er dessen Vize-Präsident. Auch gab es einen „Jakobus den Älteren“, seines Zeichens Bruder Johannes des Täufers. Einen Vergleich von Langs Leidenschaft für Kneipp-Wasserkuren zu dem ebenfalls mit Wasserspielen experimentierenden biblischen Bruder zu ziehen, wäre wohl vermessen. „Ich war in meiner Jugendzeit schon immer ein guter Sprinter gewesen“, erinnert sich der gebürtige Bayer, den es 1967 wegen seines Jura-Studiums nach Saarbrücken verschlug.
In seiner Jugend war Lang ein sehr erfolgreicher Sprinter
Nach über vierzig Jahren fühlt er sich wie ein echter Saarländer, erinnert sich aber gerne an die Zeit in seiner Heimat: „Bei dem Schulsportfest 1957 bin ich als 17-Jähriger 100 Meter in 11,0 Sekunden gelaufen. Das war in der damaligen Zeit ein sehr gutes Ergebnis. Im gleichen Jahr lief Armin Hary 10,2 Sekunden.“ Der im saarländischen Quierschied geborene Hary machte sich drei Jahre später mit der Weltrekord-Zeit von 10,0 Sekunden unsterblich – Jakob Lang blieb hingegen keine Zeit zum Trainieren: „Das Talent wäre ausbaufähig gewesen, wenn ich in einem Sportverein gewesen wäre. Aber ich bin schon früh ins Berufsleben eingestiegen und habe mit dem Laufen erst wieder mit 50 Jahren angefangen. Mit 54 ging ich dann erstmals auf die Ultra-Strecke (alle Läufe über der Marathon-Länge von 42,195 Kilometern, Anm. d. Red.) und das hat mir so viel Spaß gebracht, dass ich es einfach weitergemacht habe.“ Aber was treibt einen dazu, im fortgeschrittenen Alter noch so lange Strecken zu laufen? „Mich reizt das Durchhaltevermögen, das man an den Tag legen muss, um über den toten Punkt hinaus zu laufen. Den toten Punkt erreicht jeder Läufer irgendwann, bei einem Marathon kommt er oft zwischen den Kilometern 32 und 35.
Beim Ultralauf kommt das gleich mehrfach vor. Und den zu überwinden, ist immer wieder eine tolle Sache. Genau das macht mir am meisten Spaß“, sagt Lang, der statt monatlich Hunderte von Kilometern zu laufen auch einfach seinen Ruhestand genießen könnte. Seiner – zugegeben exklusiven – Meinung nach geht beides nur im Einklang: „An die Grenze des Möglichen zu gehen und sich selbst zu beweisen, dass man den inneren Schweinehund besiegen kann, ist ein schönes Gefühl.“
Neben dem Laufen zählt auch Kochen zu den Leidenschaften des Pensionärs.
Um sich überhaupt erst in diese Glücksmomente versetzen zu können, trainiert Lang intensiv und zielgerichtet. „Man kann sagen, ich laufe zehn Mal in der Woche, etwa zwei Mal am Tag.“ Die Streckenlänge variiere dabei, erklärt er, bevor er mit den beeindruckenden Zahlen herausrückt: „Normalerweise haben die weitesten Strecken eine Länge zwischen 25 und 30 Kilometern und ich komme dann auf etwa 100 Kilometer pro Woche. Vor Wettkämpfen erhöhe ich den Umfang und laufe dann auch 60-Kilometer-Strecken und komme dadurch auf 150 bis 180 Kilometer pro Woche.“ Die Frage, ob das alles noch gesund ist, beantwortet Lang in seiner Funktion als ausgebildeter Kneipp-Gesundheitstrainer: „Ich habe null Beschwerden. Früher hatte ich schon des Öfteren Probleme mit Knie- und Hüftbeschwerden – einmal habe ich mir beim Training sogar das Sprunggelenk gebrochen.
Aber seit ich vor etwa zwei Jahren wieder angefangen habe, bei Wettkämpfen zu starten, und das Trainigspensum wieder erhöhte, hatte ich keine Beschwerden mehr. Ich führe das in der Tat auf die Kneipp-Behandlungen zurück.“ Im Saarland könnte man Kneip(p)-Behandlungen im Ruhestand auch als weniger gesundheitsförderliche Maßnahme begreifen, aber Jakob Lang meint tatsächlich die Methoden des berühmten Namensgebers für Wasser-Kuren, Sebastian Kneipp. „In den letzten drei Jahren habe ich an der Kneipp-Akademie Ausbildungen zum Pflanzen-Heilkundler und zum Kneipp-Gesundheitstrainer absolviert und führe diese Behandlungen auch an mir selbst durch. Ich habe seitdem keine Beschwerden mehr und fühle mich nach dem Training nicht so müde.“ Angesichts der gegenwärtigen Temperaturen läuft es selbst einem abgehärteten Sportler eiskalt den Rücken hinunter, wenn Jakob Lang erklärt, welche Anwendung er nach dem Duschen praktiziert: „Ich stelle mich in die Badewanne und gieße kaltes Wasser von der Hüfte abwärts über meine Knie und Schenkel. Danach trockne ich mich nicht ab, sondern pumpe das warme Blut durch Bewegung wieder zurück in die Gefäße der Extremitäten. Durch diese starke Anregung der Durchblutung weicht die Müdigkeit aus dem Körper.“ Klingt plausibel.
Aber die ganze Prozedur klingt auch nach dem lauten Bellen des eben schon erwähnten inneren Schweinehundes, der so etwas wie ein ständiger Begleiter Langs zu sein scheint. „Natürlich kostet auch das erst einmal eine gewisse Überwindung. Vor allem wenn man Kneipp-Anfänger ist und das auch noch im Winter. Die Vorstellung, sich bis zur Hüfte mit 15 Grad kaltem Wasser nass zu machen und sich nicht abtrocknen zu dürfen, ist dann sicher nicht angenehm“, zeigt Lang freundlich lächelnd Verständnis, und behauptet eiskalt: „Aber wenn man es oft genug gemacht hat, weiß man, dass es sich danach gut anfühlt, und dann ist die Überwindung künftig nicht mehr so groß.“
„Bei der WM in Gibraltar war die Siegesfeier etwas ganz Besonderes“
Dass Jakob Lang im Allgemeinen keine großen Überwindungs-Ängste plagen, zeigt auch seine diesjährige Erfolgsbilanz. Stolz darf sich der 70-Jährige „Weltjahres-Bester“ seiner Altersklasse nennen. Und zwar in einer Disziplin, deren Bezeichnung allein schon so manchen abschrecken würde: 24-Stunden-Rennen. Fast unglaubliche 187,003 Kilometer lief Lang in dieser Disziplin im Juni und damit allen deutschen Konkurrenten – auch Norbert Hoffmann – davon und kassierte neben der Weltjahres-Bestzeit auch den Deutschen Meistertitel. Der jüngste Erfolg des Jahres 2010 ist ihm aber der liebste: „Die WM in Gibraltar war schon ein grandioses Erlebnis.
Ich stelle sie noch über den New York-Marathon von 1994, der mich vor allem wegen der 2,5 Millionen Zuschauer beeindruckt hatte. Aber bei der WM in Gibraltar war allein die Siegesfeier etwas ganz Besonderes. Wenn man dann auf das Treppchen geholt wird und die Nationalhymne gespielt wird…“, schwelgt Lang in der noch frischen Erinnerung, „Ich schäme mich auch nicht zu sagen, dass ein paar Tränchen meine Wange heruntergelaufen sind.“ Eindrücke zählen mehr als Rekorde – aber die sind auch ganz schön: „Ich hetze nicht den Zeiten hinterher. Es ist zwar gut und schön, wenn man Weltranglisten-Erster ist oder einen Rekord aufstellt, aber das sieht nächstes Jahr vielleicht schon wieder anders aus. Das ist nicht das Bleibende. Das Bleibende sind die Eindrücke. Aber es braucht trotzdem auch den Ehrgeiz, sonst hat man keine Erfolge.“ Und ohne Erfolge kommt man nicht an Orte oder zu Wettbewerben, bei denen man die wertvollen Eindrücke gewinnen kann. Ein Teufelskreis, den Jakob Lang auf seine ganz eigene Art (durch)- ,,läuft“: „Ich habe mich von einem anderen Ultraläufer dazu überreden lassen, im August 2011 in Lebach beim 12-Stundenlauf auf der Bahn mitzumachen und den Weltrekord in meiner Altersklasse anzugreifen. Ich habe noch nie einen Wettbewerb auf der Bahn gemacht.
Der Deutsche Rekord liegt derzeit bei 97,68 Kilometern, der Weltrekord bei 109 Kilometern. Das zu überbieten, sollte für mich aber kein Problem sein. Bei der Deutschen Meisterschaft über 24 Stunden war ich nach 12 Stunden schon weiter. Und da musste ich mir ja die Kräfte einteilen, weil ich erst die halbe Strecke absolviert hatte.“ Nach seinen Angriffen auf die Weltrekorde der Disziplinen in sechs, 12 und 24 Stunden im Jahr 2011 will sich der Wahl-Saarländer im übernächsten Jahr einige – wie er sie nennt – „Spaßläufe“ gönnen. Dazu gehören: Ein Lauf durch die Wüste in Südafrika, ein Lauf auf den Kilimandscharo oder der Lauf von Athen nach Sparta – ganz nebenbei einer der schwersten seiner Art.
Jakob Lang hat seinen ganz eigenen Weg gefunden, durch‘s Leben zu laufen. Vielleicht macht er sich auf der Suche nach einer neuen Herausforderung auch irgendwann einmal auf den Weg, der nach einem seiner berühmten Namensvetter benannt ist. Wie viele Schweinehunde der in Riegelsberg wohnende Bayer dann auf der „Ultra-Strecke“ ins spanische Santiago de Compostela antreffen wird, wird sich dann zeigen…
Veröffentlicht am 14. Januar 2011 in FORUM – Das Wochenmagazin.